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Veröffentlichung "Völkerrecht"

Die Themen des Völkerrechts sind die großen Themen unserer Zeit. Das NATO-Bombardement in Serbien im Jahr 1999, der terroristische Angriff auf das World Trade Center im Jahr 2001, bekannt unter dem Kürzel «Nine-Eleven», der Einmarsch amerikanischer Truppen im Irak im Jahr 2003, die militärische Auseinandersetzung um Ossetien und Abchasien zwischen Georgien und Russland im Jahr 2008 – wann immer das Völkerrecht in den Mittelpunkt der politischen Diskussion rückt, geht es um viel: um Krieg oder Frieden, Völkermord, humanitäre Intervention, Flucht und Vertreibung, um die Abwehr tödlicher Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, um die Bestrafung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wird zu den Waffen gegriffen, ist die juristische Wertung, welcher Staat im Recht oder im Unrecht ist, wichtig, in der Rückschau oftmals wichtiger als der Waffengang selbst.

Aber gerade, wenn das Völkerrecht im Rampenlicht steht und klare Antworten, Schuldzuweisungen und Schwarz-Weiß-Bilder verlangt werden, ist es nicht selten dem Vorwurf ausgesetzt, keine klaren Lösungen aufzeigen zu können. Und selbst dann, wenn eindeutige Brüche des Völkerrechts festgestellt werden, muss immer wieder das Recht dem Unrecht weichen, setzen sich Rücksichtslosigkeit und Stärke durch. So muss es nicht überraschen, dass dem Völkerrecht häufig der Rechtscharakter abgesprochen und es als «rhetorisches Stilmittel in der politischen Auseinandersetzung» diskreditiert wird. Dabei wird aber übersehen, dass völkerrechtliche Normen auch sehr alltägliche Fragen regeln, etwa, ob ein Visum für die Einreise in einen anderen Staat erforderlich ist, in welcher Weise ein Schüleraustauschprogramm durchgeführt werden kann oder ob ein Frachtschiff mit Gefahrgut auf Rhein oder Donau fahren darf. Die Vielzahl der Regelungen des Völkerrechts wird in der täglichen Praxis ohne Wenn und Aber eingehalten. Nur manchmal, wenn Politik und Recht untrennbar ineinandergreifen, wird es schwierig. «Fast alle Nationen halten fast alle Prinzipien des Völkerrechts und fast alle Verpflichtungen fast immer ein», schreibt der amerikanische Völkerrechtler Louis Henkin – eine Feststellung, die man je nach optimistischer oder pessimistischer Grundeinstellung als tröstend oder entmutigend ansehen mag.

Jedenfalls ist Völkerrecht nicht einfach ein Teilgebiet des Rechts wie Handels-, Straf- oder Zivilrecht, es ist etwas Besonderes. Wo kommt es her? Ist es, wie jahrhundertelang angenommen, göttliches Recht oder Naturrecht oder aber doch von Menschen gemachtes und von Menschen änderbares Recht? Wer wendet es an, wer ist davon betroffen – nur die Staaten oder auch die Individuen? Gibt es auch im Völkerrecht demokratische Spielregeln oder bestimmen die Mächtigen das Recht? Diese grundlegenden Fragen werden einleitend erörtert, bevor das Recht von Krieg und Frieden, der völkerrechtliche Schutz der Grund- und Menschenrechte sowie das internationale Strafund Umweltrecht als wesentliche Teilaspekte des modernen Völkerrechts vorgestellt werden. Die Frage nach der Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen zieht sich wie ein Leitfaden durch die Darstellung, gilt es doch, immer von neuem das skeptische «Und wozu das alles?» zu beantworten.

Vieles ist im Völkerrecht nur mit Blick auf die Vergangenheit zu erklären. Es ist die Geschichte, die das Völkerrecht formt. Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, mit dem erstmals der Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte geächtet wurde, war eine Antwort auf das Leiden und Sterben im Ersten Weltkrieg. Menschenrechte wurden auf völkerrechtlicher Ebene erst festgeschrieben, als die Erfahrung mit den faschistischen Regimen gezeigt hatte, wozu die «Maschine Staat» fähig ist und wie sie sich auch gegen ihre eigenen Bürger wenden kann. Die Konvention zum Verbot des Völkermords war eine Antwort auf den Holocaust. Ob aber all diese juristischen Versuche, aus Negativerfahrungen zu lernen, helfen können, Wiederholungen zu vermeiden, ist offen. Angesichts der neuen Konfliktlinien, die sich in der Weltpolitik abzeichnen, ist der Blick auf das Völkerrecht der Zukunft zu richten und zu hoffen, dass es zu dem beiträgt, was einst Immanuel Kant als Vision beschworen hat: zum ewigen Frieden.

Angelika Nußberger

Das Völkerrecht

München 2009